Dienstag, 15. Mai 2007

Angriff der invertierten Ninjas

Auf die Gefahr hin, dass ich hier als Freund scherzhafter Unwörter erscheine, möchte ich heute ein paar Worte zu dem von mir angestrebten Spielstil verlieren, den ich als "cinematisch" bezeichnen würde. Bevor ihr nun die verfaulten Agrarprodukte hervorholt und die rostigen Messer wetzt: Es geht natürlich nicht darum ein "Drehbuch" zu schreiben, dass einen "großartigen Plot" inklusive "unerwarteter" Wendungen enthält (Anm.: Für unerwartete Wendungen sorgen in der Regel die Spieler selbst, aber der dramatische Spannungsbogen ist ein Thema für sich).

Was also meine ich, wenn ich cinematisch sage? "Cinematisch" ist möglicherweise tatsächlich etwas zu hoch gegriffen. Beschränken wir uns also auf ein allseits beliebtes Meta-Genre des Kinos und nennen meinen Spielstil "Trash Roleplaying". Stellt euch das am besten vor wie in einem beliebig verklärten Nerd-Nostalgie-Streifen aus der Kategorie "Krieg der Sterne" oder "Armee der Finsternis". Alternativ dazu kann auch jeder drittklassige 80er-Jahre-Actionfilm als Beispiel dienen.

Was haben nun diese Filme gemeinsam? Zugegeben - "Krieg der Sterne" ist nicht ganz so trashig wie der Rest und "Armee der Finsternis" ist immerhin gewollt komisch, aber das soll hier keine Rolle spielen, denn die Techniken, die in diesen Filmen benutzt werden sind teilweise sehr ähnlich.

Da wäre zum Beispiel das Gesetz der invertierten Ninja-Effizienz: Je mehr niederes Schergen-Gezücht auf der Leinwand erscheint, desto erbärmlicher deren Durchschlagskraft. Ähnlich unterhaltsam ist der allseits beliebte Sturmtruppeneffekt, der sich darin manifestiert, dass besagte Schergen enorm an Effizienz gewinnen, sobald die Helden der Geschichte gerade nicht anwesend sind. Das führt uns nahtlos zu einer weiteren Zutat eines jeden Trash Movies, das diese Bezeichnung verdient hat: Keine Party ohne Redshirts, die berühmt-berüchtigten Sprechrollen-Statisten, die grundsätzlich dazu verdammt sind, den Löffel abzugeben, damit die Schurken ein bisschen schurkiger erscheinen. Das ganze wird dann noch mit einem Character Shield für den BBEG gewürzt, damit dieser zumindest einmal ungestraft randalieren gehen darf, ohne dass die Helden der Geschichte etwas dagegen unternehmen könnten.

Nun lautet die Frage: Kann oder viel besser sollte man diese Werkzeuge auch im Rollenspiel und ganz besonders im ARS verwenden? Das klassische ARS nach Skyrock schließt wohl zumindest die Character Shields von vornherein aus - zumindest auf den ersten Blick. Auch Dinge wie der Sturmtruppen-Effekt oder das Gesetz der invertierten Ninja-Effizienz scheinen auf den ersten Blick nicht unbedingt wie Faust aufs Auge des geneigten Gamisten zu passen - immerhin gelten hier in unterschiedlichen Situationen ganz klar unterschiedliche Gesetzmäßigkeiten, und das darf ja nun nicht sein - richtig?

Falsch. Jedes einzelne dieser Stilmittel lässt sich problemlos im ARS verwenden, sogar nach der orthodoxesten Definition dieser inhaltlich etwas schwammigen Abkürzung. Es kommt darauf an, solche Dinge im Voraus durch klare Absprachen zu regeln. Die Rahmenbedingungen müssen klar sein, damit Dinge wie z.B. ein Character Shield funktionieren. Wie genau also könnte man die einzelnen Trash-Bonbons umsetzen, die ich oben aufgeführt habe?

Der Sturmtruppeneffekt
Hier ist die Sache klar: Da dieser Effekt dann eintritt, wenn die SC gerade nicht anwesend sind, ist es völlig Banane, ob es nach dem eingesetzten Regelwerk überhaupt möglich bzw. realistisch wäre, dass die 20 Goblins das Dorf am Waldrand schleifen und neben ein paar Dutzend Bauern auch den Wirt des örtlichen Gasthauses abschlachten (der selbstverständlich ein ehemaliger Abenteurer und Kämpfer der 8. Stufe ist). Die Helden sind nicht anwesend. Niemand wird durch so etwas benachteiligt. Es ist ohnehin unmöglich respektive schwachsinnig die gesamte Spielwelt simulieren zu wollen, insofern sind solche Szenen völlig ok. Dort wo die SC eine Möglichkeit haben Einfluss zu nehmen (direkt oder indirekt) bestimmen die Regeln den Ablauf der Dinge. Das Rollenspiel ist aber grundsätzlich auf den oder die Orte begrenzt, an denen zumindest einer der SC anwesend ist (wobei die Anwesenheit in diesem Fall nicht zwingend physischer Natur sein muss). Jeder andere Ort ist nicht Teil des SIS und damit auch als gesetz- und regellose Zone zu betrachten.

Wenn die Abenteurer dann irgendwann auf die erwähnten Goblins treffen, und diese nach hartem Kampf schlussendlich besiegen, obwohl sie selbst erst die 4. Stufe erreicht haben, dann schmeckt dieser Erfolg gleich noch süßer. Der Sturmtruppeneffekt dient dazu die empfundene Bedrohung zu erhöhen, indem die Gegenseite gefährlicher dargestellt wird, als sie eigentlich ist. Man sollte natürlich den Fehler tunlichst vermeiden, durch diese Technik einer Begegnung mit hoffnungslos unterlegenen Widersachern den Anstrich von Gefahr zu geben, denn nichts ist langweiliger als Begegnungen, die zu einfach sind. Die Bedrohung für die SC muss deswegen auch tatsächlich vorhanden sein. Der Sturmtruppeneffekt kann benutzt werden, um die Intensität, mit der diese Bedrohung empfunden noch weiter zu steigern, und sollte/kann den Nervenkitzel eines harten Kampfes niemals ersetzen.

Mechaniken braucht man für der Sturmtruppeneffekt überhaupt keine - genausowenig, wie der Spielleiter sich bei der Beschreibung eines Baumes an irgendwelche Regeln halten müsste.

Das Gesetz der invertierten Ninja-Effizienz
Hier wird es schon ein wenig kniffliger - aber auch nur auf den ersten Blick. Das Gesetz der invertierten Ninja-Effizienz geht ja grundsätzlich davon aus, dass identische Schergen an Effizienz verlieren, wenn sie in großen Gruppen auftreten. Das wäre im Rollenspiel natürlich nur mit recht merkwürdigen Sonderregeln zu erreichen. Man könnte zum Beispiel Abzüge auf bestimmte Werte vergeben, je mehr Gegner an einer Begegnung beteiligt sind, und im Gegenzug die Belohnungen in Form von Erfahrungspunkten reduzieren. Solche Regeln allerdings wollen wohlüberlegt sein und brauchen in der Regel auch ein gewisses Maß an Playtesting, bis sie überhaupt brauchbar ausbalanciert sind - wenn sie es überhaupt jemals werden: Man denke nur an die Monster Challenge Ratings von D&D. Diese Regel ist (so nützlich und gut sie ist) auch ohne eine merkwürdige Regel für invertierte Ninjas schon schwammig und ungenau genug.

Deswegen machen wir es uns als Spielleiter so einfach wie möglich: Wir basteln einfach zwei oder drei unterschiedliche Varianten des gleichen Schergentypus mit jeweils unterschiedlich vielen Stufen. Die stärksten dieser Schergen sind diejenigen, denen die Gruppe allein oder in kleinen Gruppen begegnen wird. Wollen wir die Helden mit mehr Schergen konfrontieren, so wählen wir einfach eine schwächere Variante. Damit bewegen wir uns nach wie vor innerhalb der Regeln und haben genau den gewünschten Effekt erzielt. Für die Spieler sehen die Schergen dank identischer Beschreibung völlig gleich aus, der besagte Effekt dürfte ihnen aber auffallen - spätestens wenn sie für das ausschalten zweier Goblins genauso viele Erfahrungspunkte erhalten wie für die acht zuvor, die allerdings sehr viel schneller den Weg auf die Bretter gefunden haben.

Zu den Redshirts werde ich hier keine Evangelien verkünden. Dieses Werkzeug ist so frei von Mechanik, dass es eigentlich hierzu keinen Diskussionsbedarf geben sollte. Kommen wir deswegen zum letzten Punkt, der für die Umsetzung im ARS sicherlich die größten Probleme mit sich bringt - gemeint sind die...

Character Shields
Ein Character Shield ist eigentlich genau das, was einem überzeugten ARSer vor Wut die Adern hervortreten lassen sollte. Immerhin geht es hier um fiesestes Railroading und Aushebeln von Spielmechaniken, damit der Highlord seinen Plot durchdrücken kann - oder etwa doch nicht?

Was man tatsächlich tunlichst vermeiden sollte ist ein hundertprozentiger Character Shield - egal für welchen BBEG. Will man dem erwähnten Finsterling aber einen oder mehrere Auftritte vor dem großen Finale gewähren, so kommt man nicht darum herum, ihn irgendwie vor den heimtückischen Meuchelversuchen der Abenteurer zu schützen.

Das Schöne daran ist, dass es hierfür haufenweise Möglichkeiten gibt, die sich innerhalb der Regeln bewegen, so dass man diese nicht einmal brechen muss, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. So hätte bei D&D der böse Erzmagier zum Beispiel Zugriff auf Zauber wie contingency, die geradezu prädestiniert für den Einsatz als Character Shield sind. Manche Gegner haben ihr Character Shield sowieso schon eingebaut - bei D&D wären da zum Beispiel Vampire, Leichname und Geister zu nennen.

In manchen Systemen gibt es schon ganz tief verankerte Character Shields, die grundsätzlich jedem zur Verfügung stehen - wie zum Beispiel die Karmapunkte in Shadowrun oder das optionale Action Points System für D&D, das man im Unearthed Arcana findet.

Wichtig ist: Keine dieser Mechaniken ist eine Vollkasko-Versicherung gegen das vorzeitige Ableben eine Bösewichts - und das ist auch gut so. Die SC sollten nicht nur das Gefühl haben, dass sie die Möglichkeit haben ihre Nemesis schon zu einem frühen Zeitpunkt zu bezwingen - diese Möglichkeit muss tatsächlich gegeben sein. Alles andere wäre offensichtlich Illusionismus in seiner reinsten Form. Wenn hin und wieder mal ein Character Shield versagt hat das auch den großen Vorteil, dass die Spieler bei einer frühen Begegnung mit dem BBEG nicht gleich mit der Einstellung an die Sache gehen: "Was soll's? Der teleportiert sich doch gleich wieder weg..."

Character Shields sind eine schöne Möglichkeit, um eine Rollenspielrunde mit einem Hauch gut abgehangenem Trash zu verfeinern. Anders als in den angesprochenen Filmen gelten aber - wie für alles andere auch - im Rollenspiel andere Maßstäbe, denn ein Rollenspiel ist kein Film, und der Spielleiter ist nicht der Regisseur.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Alles sehr brauchbare und ARS-verträgliche Lösungen.

Lediglich beim Sturmtruppeneffekt könnten Spieler negativ reagieren, da sie erwarten dass die Spielrealität sich auch außerhalb ihrer Wahrnehmung zumindest an den Spielregeln orientiert. Besonders negativ können die Reaktionen ausfallen wenn mit dem Sturmtruppeneffekt etwas getan wird was die _Spieler_ am liebsten verhindert hätten wenn sie vor Ort gewesen wären. (z.B. wäre ich stinkig geworden wenn ein Highlord mal eben zwischendurch Lauryn aus Teil III meiner emotionales-Investment-Reihe umgebracht hätte.)
Da empfiehlt es sich mal offen vor dem Spiel anzusprechen inwiefern Regeln Ereignisse außerhalb des direkten Wahrnehmungsbereichs beeinflussen sollen und wie weit solche Eingriffe gehen dürfen die von den Spielern nicht beeinflusst werden können.