Mittwoch, 6. Juni 2007

Der älteste Rant der Welt

Auch wenn der Neuheitswert dieses Beitrags nicht gerade überwältigend ist, muss ich an dieser Stelle etwas loswerden. Wir kennen ja alle das alte Ressentiment, dass D&D eine Munchkin-System sei. Diese von Ignoranz geprägte Aussage wurde schon vielfach zu wiederlegen versucht, und auch ich bin bei diesem Thema recht mitteilungsbedürftig.

Zunächst mal zur Begriffsklärung Munchkin vs. Powergamer. Ein Munchkin ist in der Regel jemand, der versucht, die Regeln eines Spielsystems soweit zu biegen und bis an die Grenzen zu interpretieren, so dass er damit Dinge anstellen kann, die das System sprengen und seinen Charakter mächtiger machen als alle anderen. Der Munchkin schreckt dabei nicht vor Betrugsversuchen zurück und ist auch bereit die Regeln zu brechen, solange dies für ihn von Vorteil ist und es niemand bemerkt, weil er zum Beispiel ein tolles neues Sourcebook hat, das in der Gruppe sonst keiner kennt (Hinweis: Wer als Spielleiter Dinge zulässt, die er selbst nicht kennt ist sowieso selbst Schuld).

Der Powergamer hingegen bewegt sich bewusst innerhalb der Regeln des Systems und versucht diese Regeln so zu kombinieren, dass dabei ein möglichst gutes Ergebnis herauskommt. Er geht systematisch vor und hat Spaß daran, die Möglichkeiten des Systems auszureizen.

Vergleicht man diese beiden Begriffe mit dem Fußball, so wäre ein Munchkin wohl am ehesten ein Spieler, der bewusst foult, wenn der Schiedsrichter nicht hinsieht und sich selbst beim leisesten Kontakt mit dem Gegenspieler auf den Rasen fallen lässt, um dadurch einen Vorteil zu erhalten. Der Powergamer hingegen ist daran interessiert seine eigene Leistung zu verbessern und dem Gegner ein faires Match zu liefern. Er ist ehrgeizig und gewinnorientiert, achtet aber Gegner und Regeln. Nun mögen einige sagen, dass man Rollenspiel nicht mit Fußball vergleichen kann. Diesen Punkt möchte ich zunächst hinten anstellen und eine wichtige Festsstellung treffen:

D&D bietet ein sehr systematisch aufgebautes Regelwerk, das vergleichsweise wenige Lücken aufweist, die sich für wirklich extreme Konzepte eignen. Es gibt natürlich ausnahmen, wie z.B. das unsägliche Book of Nine Swords, aber insgesamt ist das System relativ konsistent und weitgehend frei von groben Designfehlern. Dies bedeutet, dass Munchkinism in D&D sehr schwierig ist, vorausgesetzt der Spielleiter kennt die Regeln und ist in der Lage Schummlern den Marsch zu blasen. Gleichzeitig bietet D&D eine gewaltige Menge an Optionen bei der Charakterentwicklung. Wer deshalb sagt, D&D sei ein Munchkin-System, der liegt falsch. Wer hingegen sagt, D&D wäre ein Powergamer-System, der hat Recht.

Nun ist der Begriff "Powergamer" zumindest hierzulande noch immer äußerst negativ belegt. Ein Powergamer ist nach allgemeinem Verständnis grundsätzlich einer, der den "wahren" Sinn des Rollenspiels nicht begriffen hat, der ja bekanntlich darin besteht, in schwülsitgem In-Character-Sprech die vom (meist männlichen) Spielleiter dargestellte Schankmaid zu becircen. Der Powergamer hat daran kein Interesse, bzw. wahrscheinlich ist sein Horizont respektive Intellekt einfach nicht ausreichend für den Aufstieg in den Olymp der wahren Rollenspiels.


Um aber den Bogen zurück zu D&D zu schlagen: Einige Fans des Systems stellen zu Recht fest, dass das Vorhandensein eines powergamingtauglichen Regelwerks das Becircen der Schankmaid nicht ausschließt. Man kann auch in D&D diesen Spielstil pflegen und damit eine Menge Spaß haben. Ich hingegen behaupte, dass nichts, aber auch gleich gar nichs, falsch ist, wenn man Spaß am reinen, ehrlichen, Powergaming hat. Dafür ist D&D geradezu optimal geeignet. Die Vielfalt der Optionen, gepaart mit der Konsistenz des Systems schaffen den optimalen Nährboden dafür, sich in dieser Richtung auszutoben. Wer damit nichts anfangen kann, der muss nicht D&D spielen - es gibt genügend andere Systeme, die besser für andere Spielstile geeignet sind.

Nun gibt es noch diejenigen, die an dieser Stelle rufen: "Ja, aber das ist doch kein Rollenspiel mehr!" Dem kann ich entgegensetzen, dass die allgemeingültige dogmatische Definition des Begriffs "Rollenspiel" nach wie vor nicht vorliegt. Davon abgesehen, ist es ein kleines bisschen absurd, dem ersten Rollenspielsystem überhaupt vorzuwerfen, es hätte mit Rollenspiel nichts zu tun.

In diesem Sinne gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass diejenigen irgendwann mal die Klappe halten, die keine Ahnung haben und nur unreflektiert das nachplappern, was gewisse selbsternannte "Autoritäten" mit selbst zugeschriebener Deutungshoheit über den Sinn des Rollenpiels an geistiger Umweltverschmutzung zu diesem Thema produzieren.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich denke das Problem mit "Powergaming = schlechtes Rollenspiel" kommt daher dass es viele schlechte Systeme gibt in denen Powergaming nicht zu einem befriedigenden Spielerlebnis führt.

Punkt 1: Hartholzharnische.
Wenn es in einem Spiel taktische Optionen gibt die jeder anderen Option jederzeit überlegen sind dann benutzt jeder sie - was die taktische Entscheidung trivial und so langweilig macht.
Ich nenne dieses Phänomen so, weil es von der Rüstungsproblematik bei DSA2-3 herkommt - da war der Hartholzharnisch die mit weitem Abstand beste Rüstung von allen, und jeder Charaktertyp vom Magier bis zum Krieger hat sie tragen dürfen und damit das beste Ergebnis gehabt. (Sogar für Zwerge mit ihrem Bonus beim Kettenhemdentragen war der Hartholzharnisch eine effizientere Lösung.)
Anderes Beispiel: Super Mario World. Dort ist das Cape jedem anderen Power-Up überlegen und erlaubt es mit minimalem Geschick die meisten Level zu durchspielen indem man über alle Herausforderungen hinwegsegelt und immer nur den gleichen Knopf drückt um in der Luft zu bleiben.

Punkt 2: Effizienzstreben und Spielziel stehen in Widerspruch.
Beispiel wären hier die meisten älteren Nachteilssysteme wo man eine große Einmalauszahlung erhält und der Nachteil danach keine positiven Effekte mehr hat.
Der Effekt ist das jeder Spieler sich möglichst teure Nachteile auflädt die möglichst wenig Auswirkungen auf das eigentliche Spiel haben und dann alles unternimmt um den Nachteil nicht bedienen zu müssen.
Der Effekt ist dass das System es beklohnt wenn Spieler Spielzeit verschwenden indem sie sich gegen ihre Nachteile absichern, was weniger Durchsatz und damit weniger Spaß für alle bedeutet.

Anderes Beispiel wäre Shadowrun wo viele effektive Power-Ups mit vielen komplexen Sonderregeln versehen waren. Wer die nicht genommen hat war schwächer als der der sie aufnimmt und den Rest der Gruppe mit dem barocken Regelwust belastet der damit einher geht.

Anonym hat gesagt…

Danke. Skyrock hat genau die Beispiele genannt, die mir sogleich in den Sinn kamen.
Was bei DSA die Kombination Hartholzharnisch/Fellumhang/Lendenschurz/Sturmhaube (RS 7, BE 3), ist bei Shadowrun der leukämiekranke blinde taubstumme Decker (Nachteile spieltechnisch irrelevant beim Decken).

alexandro hat gesagt…

Powergaming = Munchkin kommt von Champions, wo als "Paradebeispiel" für den Powergamer ein Spieler genannt wird, welcher den SL beschwatzt die (harten) Charaktererschaffungsregeln so zu ändern, dass ein mächtigerer Charakter möglich wird.

"Einer, der den "wahren" Sinn des Rollenspiels nicht begriffen hat, der ja bekanntlich darin besteht, in schwülsitgem In-Character-Sprech die vom (meist männlichen) Spielleiter dargestellte Schankmaid zu becircen. Der Powergamer hat daran kein Interesse"
Wenn das System das wirklich hergibt und nicht durch SL-Entscheid gehandhabt wird, wie erfolgreich der SC ist, dann ist das schon für PGs interessant.
Ist dem nicht so, dann ist es meißt egal, denn wenn weder Vor- noch Nachteile damit verbunden sind kann der Spieler nach Herzenslust flirten oder halt nicht, je nach Laune.

Ist dagegen die Schankmaid zentral für das erfolgreiche absolvieren des Abenteuers, so braucht der PG dagegen schon harte Regeln.

Anonym hat gesagt…

Allein die eingangs zitierte Erkenntnis "der älteste Rant der Welt" hätte ausgereicht, um das Thema dort abzubrechen. Der Rest ist das Wiederkäuen eines alten Brötchens, leider.